Feldpost im Zweiten Weltkrieg
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Clemens Schwender

Liebesdiskurse in Feldpostbriefen aus dem Zweiten Weltkrieg

Aus Feldpostbriefen erfährt man nichts Neues über den Zweiten Weltkrieg. Die Fakten sind weitgehend bekannt. Feldpostbriefe haben einen anderen Wert. Sie werden zunehmend erkannt als Dokumente der Alltagskommunikation. Immerhin war der Feldpost-Brief in jenen Tagen nahezu das einzige Medium der Individualkommunikation, das Soldaten mit ihrem familiären und sozialen Umfeld zu Hause verband. Durch den Einsatz der Soldaten an den weit entfernten Fronten waren Beziehungen auseinander gerissen: Betroffen waren nicht nur Kollegen und Freunde, sondern auch Eltern und Kinder, und eben auch Ehepaare und Liebende.
Nahezu die einzige Möglichkeit zum Kontakt war die schriftliche Verständigung. Telefon stand für private Gespräche in aller Regel nicht zur Verfügung, so blieben nur Briefe, Karten, Päckchen und Telegramme. Befördert wurden diese durch die Organisation der Feldpost. Ab und zu konnten andere Soldaten, die auf Heimaturlaub fuhren oder von dort kamen, das Eine oder Andere mitnehmen. Aufgrund von Schätzungen auf der Basis von noch erhaltenen Abrechnungen zwischen der deutschen Wehrmacht und der Reichspost kann man heute davon ausgehen, dass während des Zweiten Weltkrieges etwa 30 bis 40 Milliarden Sendungen mit der Aufschrift "Feldpost" befördert wurden. Diese Aufschrift reichte generell zur kostenfreien Beförderung aus. Allerdings beschränkte kriegsverlaufsbedingte Kontingentierungen die Beförderung zeitweise oder lokal.
Der Blick auf die Briefe hat sich geändert: Es waren zunächst hauptsächlich Philatelisten, die sich für Standards und Besonderheiten der Transportwege interessierten. Erst seit 1982 richtete sich der Blick in den Umschlag hinein, auf die geschriebenen Dokumente und deren Inhalte. Die erste Veröffentlichung zum Thema stammt von Ortwin Buchbender und Reinhold Sterz. Unter dem Titel "Das andere Gesicht des Krieges" veröffentlichten sie Auszüge aus Feldpostbriefen. Grundlage bildete die Privatsammlung von Reinhold Sterz, die heute in der Landesbibliothek Stuttgart einzusehen ist. Bis vor kurzem war es nahezu die einzige Sammlung, die einen Umfang aufwies, die umfassende Beantwortungen auch komplexer Fragestellungen erlaubte.

I. "Schreib so oft du kannst"
Die Feldpostsammlung Berlin

Die Bestandssituation änderte sich erst im Jahre 2000, als Ortwin Buchbender Katrin Kilian und mich überredete, eine weitere Sammlung zu initiieren. Zusammen mit dem Museum für Kommunikation und unterstützt durch die Technische Universität Berlin begann das Unternehmen. Schon bald war eine beträchtliche Anzahl von Dokumenten im Bestand. Mehrere zehntausend Briefe in über 600 Konvoluten, also Briefreihen, die einem Absender zuzuordnen sind. Das Besondere an dieser Sammlung ist, dass im Unterschied zu allen anderen Archiven umfassende Informationen zu den Verfassern einsehbar sind. Damit ist nicht nur die Möglichkeit eines systematischen Zugangs geschaffen, es sind auch neuartige Auswertungen möglich.

Für eine erste Vermutung in Bezug auf die Bedeutung der Feldpostbriefe als Liebeskommunikate sind Indizien zu finden. Die Hypothese "Der während des Krieges verstorbene Geliebte hat eine größere emotionale Bedeutung als der Heimgekehrte" kann überprüft werden. Bei der Motivation der Empfängerin, die Briefe zu sammeln, konnte es zunächst keine Rolle spielen, da weder der Fakt noch der Zeitpunkt des Todes vorherzusehen gewesen sein konnte. Eine Vergleichbarkeit zwischen Überlebenden und Verstorbenen ist auf dieser Ebene prinzipiell gegeben. Aber dass die Gedenkkultur eine andere sein muss, ist ebenso evident. Im Fall des Heimgekehrten sind die Angelegenheiten, die in den Briefen behandelt wurden, weitergeführt und schließlich erledigt. Beim Gefallenen oder Vermissten sind sie sicher durch die Zeit auch erledigt, aber die Briefe sind Zeugnis der Person und persönliche Dokumente der Beziehung, die durch den gewaltsamen Tod nicht auf natürliche Weise beendet wurde. Auch die Inhalte der Briefe selbst geben Anlass, das Gedenken auf besondere Weise zu bewahren.

Erste Indizien für eine unterschiedliche Gedenkkultur ergeben statistische Auswertungen der Konvolute und deren Eintragungen in einer Datenbank: Von 610 zum Zeitpunkt der Auswertung (April 2003) in der Feldpostsammlung erfassten Konvoluten sind 395 mit erkennbarem und erfasstem Adressaten-Bezug. Von den 610 Briefschreibern korrespondieren 23 mit Freunden, Bekannten oder Kameraden (=5,8%), 157 mit Partnern, zum Teil auch gleichzeitig anderen Familienangehörigen (=39,7%, 2/3 davon sind gefallen) und 215 ausschließlich an Familieangehörige, mit denen eine Partnerbeziehung besteht (=54,4%, 2/3 davon sind gefallen).

Insgesamt und unabhängig vom Adressaten gibt es 370 Angaben zum Verbleib: 70 % sind gefallen, durch andere Kriegeinwirkungen verstorben oder vermisst. Nach Hochrechnungen von Rüdiger Overmans [1], der ein repräsentatives Sample der 17 Mill. Karteikarten der Deutschen Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht (WASt) auswertete, sind 28 % der Soldaten von Wehrmacht, Heer, Luftwaffe, SS oder Mitglieder von Reichsarbeitsdienst, Organisation Todt, Polizei, Zoll, Reichsbahn, Reichspost und schließlich Volkssturm nicht nach Hause zurückgekehrt. Laut Overmans sind 5,318 Millionen Soldaten gefallen. Also statt der erwarteten gut 30 % Gefallener, sind in der Feldpostsammlung Berlin 70 % der Konvolute von nicht nach Hause zurück gekehrten Soldaten. Der deutlich erhöhte Anteil an Briefe von Gefallenen lässt sich damit klar als erstes Indiz für deren außergewöhnliche emotionale Bedeutung werten.

Lenkt man den Blick auf die Inhalte der Briefe, wird man feststellen, dass diejenigen, die man der Liebeskommunikation zurechnen kann, eigentlich ganz normale Liebesbriefe sind. Sie erfüllen alle Kriterien und Muster, die aus der Forschung bekannt sind. Hier finden sich vielfältige Thematisierungen, die auch in anderen Formen der Liebeskommunikation vorkommen, etwa die Beteuerung der Liebe, das Interesse an einer Beziehung und die Auseinandersetzung mit der Eifersucht. Im Rahmen dieser Arbeit gibt es eine Konzentration auf Themen, die sich um die Spezifika der Feldpost drehen. Es wird also um Krieg und Beziehung gehen, um die besonderen Probleme der Liebeskommunikation in einer aus den Fugen geratenen Zeit, um Feldpost als Sonderfall - ja geradezu als Ausnahmefall - der Liebeskommunikation.

Es wird also darum gehen, einzelne Aspekte zu identifizieren und diese exemplarisch zu beleuchten. Die Hermeneutik bietet, solange kein repräsentatives Material zur Verfügung steht, das einzig sinnvolle methodische Vorgehen. Die Verallgemeinerung von den einzelnen Fällen auf größere Gruppen von Briefschreibern ist zunächst also nur hypothetisch und kann nur gelingen, wenn die Auswahl der Themenkomplexe plausibel ist.

II. "Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie einem dabei zu Mute ist."

Die lange Trennung, die in Einzelfällen mehrere Jahre andauern konnte, die durch die weit von der Heimat eingesetzten Soldaten bedingt war, schuf nicht nur kommunikative Probleme. Es fehlten zunehmend gemeinsame Referenzen, über die sich die Partner austauschen hätten austauschen können. So lassen sich vier Welten identifizieren, in denen die Briefpartner lebten: Da war zunächst die Welt des Soldaten, die aus der Front oder der Etappe bestand, da war die Heimat, in der die Familien und Partner waren, da waren Zukunft und Vergangenheit, auf die immer wieder verwiesen wurde, da die Gegenwart fehlte und da war schließlich die Welt der Medien, die doch so etwas wie ein gemeinsames synchrones Erleben suggerierte.

II.1 Die Welt der Front

Die Welt der Front war die Welt des Soldaten. Es war die Welt, die sicher am schwersten zu vermitteln war. Vielfältige Gründe sind dafür verantwortlich. Die Kommunikation der Soldaten war am ehesten von Zensur bestimmt. Von den Bestimmungen waren in erster Linie nicht ideologische Äußerungen betroffen, sondern zunächst sollten militärisch sensible Daten vor den Kriegsgegners geheim gehalten werden, falls die Post in Feindeshand fallen sollte. So war es verboten, über militärische Ziele, über Kampfhandlungen, über Art und Zustand der Bewaffnung und anderer Ressourcen zu berichten oder Namen von Kameraden oder Vorgesetzen zu nennen. Nicht einmal der aktuelle Aufenthaltsort durfte nach Hause übermittelt werden. Das Bedürfnis der Angehörigen nach dem Wissen um das Wohl und Weh der Partner wurde immer wieder in Briefen geäußert:

20.10.41
Sag Willi, in welchem Frontabschnitt steckst Du eigentlich? Ich höre nämlich täglich genau die Wehrmachtsberichte an und die Frontberichte. Du kannst Dir das nicht vorstellen, denn Du bist ja selbst draußen, aber für uns in der Heimat ist ein, na sagen wir ein eigenartiges Gefühl zu wissen, daß dort in dem riesigen Rußland ein Mensch gegen diese fanatischen Bolschewisten kämpft, dessen Wohl einem am Herzen liegt.
(Baby in: Golovchansky, Anatoly, Valentin Osipov, Analoy Prokopenko, Ute Daniel und Jürgen Reulecke [Hrsg.]: "Ich will raus aus diesem Wahnsinn" Deutsche Briefe von der Ostfront 1941-1945 aus sowjetischen Archiven, Wuppertal 1991 und Reinbek bei Hamburg 1993)

Ein weiteres Beispiel geht in die gleiche Richtung. Die mangelnde Information gab den Briefpartnerinnen keine Möglichkeit zur Interpretation. Sie erfuhren vieles aus Wochenschau, Radio und Zeitung, doch der authentische Bericht des Mannes hatte ein viel höheren Stellenwert. Zwar schrieben die Männer, doch deren Alltag und deren Handeln kam offenbar nur marginal vor. Geradezu naiv stellten die Frauen Fragen nach der Welt der Front. Sie dachten an die Männer und ihre Vorstellung verlangte nach Bildern.

23.12.42
Frau M. rief mich auch in diesen Tagen mal an. Sie hat auch noch keine Post, und hörte von einer anderen Kameraden Frau, dass Ihr im Donbogen wäret. Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Sei doch so lieb, und schreibe recht bald mal. Wo Du bist, und was Du tust. Die Ungewissheit ist das Schlimmste.
(unbekannte Frau in: Golovchansky, Anatoly, Valentin Osipov, Analoy Prokopenko, Ute Daniel und Jürgen Reulecke [Hrsg.]: "Ich will raus aus diesem Wahnsinn" Deutsche Briefe von der Ostfront 1941-1945 aus sowjetischen Archiven, Wuppertal 1991 und Reinbek bei Hamburg 1993)

Die Fragen aus der Heimat nach dem Wo wurde immer wieder gestellt, die Antworten waren wage. Dafür war nicht nur die Zensur verantwortlich.

18.8.41
Dieser Rußlandfeldzug ist ein Kapitel für sich. Man kann das nicht mit ein paar Worten schildern, über meine besonderen Erlebnisse erzähle ich Dir erst später. Auf daß sich unsere Hoffnung bald erfülle und wir wieder glücklich und in Liebe vereint ein neues Leben beginnen, sei Du und Albertchen herzlich gegrüßt und geküßt Alois und Papa
(Alois S. - Feldpostsammlung Berlin Signatur: 3.2002.1218)

Viele der Erlebnisse im Rahmen des Kriegsgeschehens waren nicht in Worte zu fassen, schon gar nicht in eine Schriftlichkeit, die mehr Erläuterungen bedurft hätte. Und da, wo dies dem Soldaten bewusst wurde, verwies er auf die Mündlichkeit und auf die Zukunft.

25.9.44
In 24 Jahren, Geliebte, feiern wir unsere Silberne Hochzeit! Viel, viel könnte ich Dir erzählen, aber das geht nicht. Das erzählt sich besser persönlich. Weißt Du, so mit Dir auf den Knien, in den Armen. So manches möchte ich berichten. Erfreuliches und (oft weit mehr) Unerfreuliches. Alles das aber würde als Geschriebenes eine Gefahr bedeuten. Es sind Geschichten für nach dem Kriege. Kein Geheimnis mehr, daß wir uns planmäßig absetzen.
(Kurt O. in: Orgel-Purpur, Liselotte: "Willst Du meine Witwe sein?" Eine deutsche Liebe im Krieg. Briefwechsel zwischen Lieselotte Orgel-Purpur und Kurt Orgel. Berlin 1995, gleichzeitig Feldpostsammlung Berlin Signatur: 3.2002.0279)

In den Briefen von der Front fanden sich mehr zusammenfassende Einschätzungen als Details. Die Welt der Front war eine eigene in sich geschlossene Welt. Die Soldaten hatten Erlebnisse, die mit keinen anderen zu vergleichen waren. Es gab hier keine Erfahrungen, auf die man hätte verweisen können. Abgesehen davon, dass es verboten war, Personennamen zu nennen, gab es auch kaum Personen des persönlichen Umfeldes, die den Menschen zu Hause bekannt waren und somit gab es auch keine Referenzen. Das hatte zur Folge, dass die Briefe meist nur allgemeine Andeutungen enthielten. Die Brief-Kommunikation diente also ganz zentral der Aufrechterhaltung der persönlichen Beziehung. Da Anekdotisches fehlte, konzentrierten sich viele auf die Versicherung der Liebe, auf gemeinsame Erinnerungen an Vergangenes, auf Verweise in die Zukunft.

Es gibt aber auch genügend Beispiele, wo die Briefschreiber die Zensurbestimmungen übergehen und überraschend offen schrieben. Doch sie bilden die Ausnahme. Nur wer sicher weiß, dass die Partnerin die Berichte verständnisvoll aufnimmt und vertraulich behandelt, konnte, wenn er es sich trotz der Zensurbestimmungen traute, auch Konkretes über Erlebnisse und Taten an Front und Etappe schreiben.

Als Beleg für die Unterschiede zwischen Eigenwahrnehmung und Kommunikation mit der Partnerin muss man nur Einträge in das private Tagbuch und Briefinhalte vergleichen. So schrieb Ernst am 15.7.41 in sein Tagebuch:

Das Dorf Offerany brennt vollständig. Der Gegner verläßt fluchtartig die Stellung. Die erste Kompanie erhält noch Feuer aus einer Scheune. Oberleutnant Wendelhorn und drei Unteroffiziere gehen dran. Zwei Unteroffiziere fallen. Oberleutnant Mantelboom steckt die Scheune in Brand. Die Russen verbrennen bei lebendigem Leib. Die Nacht ist ruhig. Bataillon gräbt sich ein. Im Stab sind Gefreiter Samer, verwundet. Funkeroffizier Doege und Gefreiter Müller verdienten sich das EK 2.
(Ernst G. in: Sei tausendmal gegrüßt. Feldpost-Briefwechsel Irene und Ernst Guicking 1937-1945, Buch und CD-ROM, Berlin 2001, gleichzeitig Feldpostsammlung Berlin Signatur: 3.2002.0349)

Doch seine Frau erfuhr davon nichts. In dem Brief, der zeitlich diesem Tagbucheintrag folgte, schrieb er eine Woche später:

22.7.41
Du fragst nach meinem Befinden. Ja Bobi, da kann ich Dir mit einem ganz reinen Gewissen antworten: "sauwohl". Wir rauchen nur noch "Attika", bekommen täglich unsere Schokolade und noch so vieles mehr. Natürlich fehlt auch der Geruch des Krieges nicht. Das Leben ist etwas unregelmäßig, z. B. haben wir uns schon vier Tage nicht waschen können. Warum ist auch nicht wichtig. Von der großen Kriegslage weiß ich nichts zu berichten, da wir soweit nicht orientiert sind. Ich glaube, wenn wir hier fertig sind, ist auch der Krieg soweit abgeschlossen. Nur um eines möchte ich Dich bitten, nicht weich werden. Mir geht es ja ab und zu nicht viel anders, aber diesen "Schweinehund" müssen wir unterdrücken. Bobi, beiße auf die Zähne und schau geradeaus, dort wo unser großes Ziel mit jedem Sonnenaufgang näher kommt. Wir müssen und werden es erreichen und ihr, unsere Frauen und Eltern daheim, müßt viel mithelfen, denn jedes liebe Wort, jeder Kartengruß gibt neuen Lebensmut.
(Ernst G. in: Sei tausendmal gegrüßt. Feldpost-Briefwechsel Irene und Ernst Guicking 1937-1945, Buch und CD-ROM, Berlin 2001, gleichzeitig Feldpostsammlung Berlin Signatur: 3.2002.0349)

Selbst wenn man in Rechnung stellt, dass eine Woche vergangen ist seit den Kampfhandlungen, kann als Indiz dafür stehen, dass diese noch nicht verarbeitet waren. Das "Sauwohl" scheint mehr der eigenen Vergewisserung zu dienen, denn es steht im Widerspruch zur Unterdrückung des "Schweinehund". Statt Erlebnisberichten und die Vermittlung von Einschätzungen und Empfindungen zog sich der Soldat auf Floskeln zurück. Die eigenen Zweifel wurden dadurch verdrängt und die Zuversicht durch die Aufforderung zum Durchhalten auch in der eigenen Wahrnehmung geschaffen oder verstärkt. Schlechte Nachrichten und schlechte Stimmungen wurden eher verschwiegen.

Die briefliche Darstellung hatte wohl eher die Funktion, das eigene negative Erleben zu kompensieren, als eine Auseinandersetzung mit der Partnerin zu führen. Dazu waren die Erlebnisse zu komplex und die Schilderungen zu wage. Die Welt des Soldaten war getrennt von der Welt zu Hause. Konkrete Rückfragen waren selten. Die Teilnahme an Entscheidungen war ausgeschlossen.

Ob auch geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Kommunikation über Gefühle eine Rolle spielten, ist sozialhistorisch schwer zu klären. Dass Briefe von den Frauen jedoch sehr anders geschrieben sind, lässt sich belegen.

II.2 Die Welt der Heimat

Offensichtlich ist zunächst, dass die Briefe aus de Heimat weniger von Zensur bestimmt waren. Zwar wurden auch diese Briefe stichprobenartig kontrolliert, doch zum einen gab es militärisch im Grunde nichts zu verbergen, zum anderen waren die Sanktionsmöglichkeiten aufwendiger.

Die Welt der Heimat war dem Soldaten an der Front bekannt. Er war zumeist unfreiwillig aus Familie und sozialem Umfeld heraus gerissen. Er hatte den Wunsch, an dieser Welt weiter Teil zu nehmen. Immer wieder stellte er Fragen und forderte damit zur Kommunikation auf. Das Medium Brief erlaubte trotz der räumlichen Trennung, dass der Mann weiter am Diskurs beteiligt war. Hier war es möglich, dass die Briefe viele Details zur Situation von Familie und Besitz enthalten. Der Brief musste mitunter die unmittelbare Erfahrung ersetzen.

31.8.41
Diese süßen Kinder! Du ahnst nicht, wie nett das ist, wenn sie alle Drei morgens "in Muttis Bett" sitzen! Wie Ekki aussieht, kannst Du Dir nicht vorstellen? Er liegt meistens mit großen klaren Augen, und wenn Du kommst und ihn ansiehst, dann ist es, als ob die Sonne aufgeht! Und so pfiffig sieht er immer aus, so richtig helle und so süß, daß man immer Atem holen muß vor Freude.
(Hilde K. - Feldpostsammlung Berlin Signatur: 3.2002.0861)

Doch nicht nur Positives gab es zu berichten. Zwar waren die Frauen gehalten, keine schlechten Stimmungen zu verbreiten, doch je nach Mentalität und Stimmungslage ließen sich viele doch nicht davon abbringen, ihre Situation ungeschönt zu beschreiben.

In dem Maße, wie die Heimat durch die zunehmend schlechter werdende Versorgungslage betroffen war, wie sie auch Ziel von Bombenangriffen wurde und schließlich durch das Vorrücken der alliierten Soldaten selbst zur Front wurde, fanden diese Situationen auch Eingang in die Korrespondenz der Frauen an ihre Männer.

31.5.44
Die Schwester von Gustav ist am Kreuzberg auch total bombengeschädigt, wo man hinhört, überall dasselbe. Ich sah mir dann bei Paula noch ihre Kaninchen an, sie hat wohl ca. 6 Junge u. ein altes. Ich sollte auch noch bei ihr Kaffee trinken, aber ich hatte doch keine Zeit mehr; denn Deine l[ieben] Eltern warteten doch mit dem Mittagbrot auf mich. So lief ich schnell zu mir nach Haus, holte meinen Fliederstrauß, den ich Deiner Mutter mitgebracht hatte u. ging zu Deinen Eltern. Mutter hatte dann bald das Mittag fertig, na, es war ja durch den Alarm nun schon wieder ½ 3 Uhr geworden. So waren wir wieder ein paar Stunden gemütlich beisammen u. konnten uns alles wieder einmal berichten.
(Hertchen B. - Feldpostsammlung Berlin Signatur: 3.2002.0828)

Briefe sind Individualmedien. Sie dienten als Feldpostbriefe auch der Kommunikation zur Organisation von Familie und Beziehung. Viel Privates wurde berichtet. Auch Klatsch und Tratsch gehörte dazu, denn nicht anderes ist der Austausch von sozialen Informationen. Diese Funktionen konnten die Feldpost-Briefe, die aus der Heimat geschrieben wurden, besser erfüllen als die Briefe, die in umgekehrte Richtung gingen. Die Personen und Orte waren beiden bekannt.

Damit war der Mann, der weit entfernt war, an persönlichen Informationen beteiligt. Zwar konnte er nichts dazu beitragen, denn eigene Erfahrungen fehlten im privaten Kontext, doch er war nicht ausgeschlossen. Es ist ein Merkmal von Beziehung, dass man am Klatsch und Tratsch beteiligt ist. Solange der Mann die kleinen Dinge aus dem persönlichen Umfeld erfährt, solange weiß er, dass er weiterhin zur sozialen Gruppe gehört.

Die Welt der Heimat war zudem noch gekennzeichnet durch ein Phänomen, das man umschreiben könnte mit "Täglich warten auf Post". Zweimal täglich kam die Briefträgerin und ebenso oft hofften die Angehörigen auf Lebenszeichen von der Front. Sie tauschten sich aus und Bekanntschaft und Nachbarschaft nahmen Teil an der Freude, wenn ein Brief kam und an der Enttäuschung, wenn er ausblieb. Oft - wenn es der Inhalt zuließ - wurden die Briefe auch wechselseitig gelesen. Da viele in vergleichbaren Situationen waren, war das Verständnis groß.

Die Briefe wurden gesammelt. Die Motivation, diese aufzubewahren, ist nicht explizit genannt. Eine Frau, die dem Feldpostsammlung ihre in einer mit Stoff ausgeschlagenen Kiste gesammelten Briefe übergab, tat es mit der Erklärung: "Das sind alle meine Liebesbriefe. Ich habe die Kiste bei jedem Bombenangriff mit in den Keller genommen." Da man sehr wohl auswählen musste, was man im Notfall retten wollte und was fürs tägliche (Über)leben nötig schien, müssen die Briefe eine ganz außerordentliche Bedeutung gehabt haben. Die Tatsache, dass immer noch so viele Briefe in den Familien aufbewahrt und heute den Archiven zur Verfügung gestellt werden, ist ein Beleg, dass der emotionale Einfluss zum Sammeln der Briefe groß gewesen sein muss.

II.3 Vergangenheit und Zukunft

Beziehungen, die über briefliche Kommunikation aufrechterhalten werden, haben eine Vergangenheit und eine erhoffte Zukunft. Sie sind auf eine unbestimmte Zeitspanne angelegt und trotz der Trennung auch nicht beendet, aber auf eine harte Probe gestellt. Da sich Partnerschaften über Kommunikation bestimmen, dient sie dazu, die Trennung zu überbrücken. Das Problem ist, dass Liebe, die sich nicht durch gemeinsame Erlebnisse verwirklichen kann, nur in großem gemeinsamem Vertrauen lebendig gehalten werden kann. Die Erinnerungen an gute alte Zeiten und die Hoffnungen auf bessere werden als Argumente genutzt, die Freundschaft trotz der derzeitigen Trennung nicht aufzugeben.

Da gemeinsame Gegenwart fehlten, musste die Referenz auf Vergangenes trösten. Die Erinnerung wurde bemüht, um das Leid der getrennten Gegenwart zu lindern.

2.12.43
Aussee liegt in einem großen Tal. Geht man auf der einen Seite zum Ort hinaus, kommt man zum Grundl-See, ein schöner Spaziergang, besonders wenn zwei verliebte Leutchen ihn machen - aber sonst bietet der Grundl-See keine außergewöhnliche Sehenswürdigkeit. Erinnerst Du Dich an das goldleuchtende Herbstlaub über dem im Gegenlicht schimmernden Gebirgsbach? Und daß ich meinte, dies ließe sich nicht mit der Kamera bannen, und Du mir inzwischen den Gegenbeweis brachtest?
(Kurt O. in: Orgel-Purpur, Liselotte: "Willst Du meine Witwe sein?" Eine deutsche Liebe im Krieg. Briefwechsel zwischen Lieselotte Orgel-Purpur und Kurt Orgel. Berlin 1995, gleichzeitig Feldpostsammlung Berlin Signatur: 3.2002.0279)

Grundsätzlich wurde auf positive Erinnerungen Bezug genommen. Romantische Situationen, in denen man sich nahe war, standen für die angenehmen Seiten der Beziehung. Die Erwähnung dieser Erinnerung wies implizit in die Zukunft. So wie es war, so sollte es wieder werden.

21.4.41
Ich dachte wieder an den Osterfeiertag, den wir 1939 in Altenburschla verlebten. Erinnerst Du Dich noch? Wir fanden auf dem Spaziergang auch Schlüsselblumen, die wir auf Mutter's Grab brachten.
(Irene G. in: Sei tausendmal gegrüßt. Feldpost-Briefwechsel Irene und Ernst Guicking 1937-1945, Buch und CD-ROM, Berlin 2001, gleichzeitig Feldpostsammlung Berlin Signatur: 3.2002.0349)

Selbstverständlich waren die Situationen, an die man erinnert, konfliktfrei. Vergangenheit wurde zu Nostalgie, zu einer emotionalen Mischung aus Trauer, dass die Zeit vergangen ist, und Freude, wie schön und angenehm die Zeit war.

Neben der Vergangenheit und der Gegenwart gab es eine kurzfristige Zukunft, die sich in der Möglichkeiten des gemeinsamen Urlaubes zu Hause und damit der gemeinsam zu verbringenden Zeit darstellte und in der mittelfristigen Zukunft, die sich auf das Kriegsende bezog. Dieses Ende wurde immer als greifbar nah vorgestellt. Ein lang andauernder Krieg war außerhalb der Vorstellung, denn nur in einem zeitlich begrenzten Rahmen macht die Briefkommunikation, Sinn. Die Partner nutzten diese in ihrem Verständnis nur temporär. Selbst wenn die Trennung schon länger andauerte, so würde sie in ihrem Bewusstsein doch enden. Sucht man nach einem Zeithorizont, so findet sich immer wieder das subjektiv interpretierbare, aber dennoch hoffnungsvolle "bald".

Zukunft war die Zeit nach dem Krieg. Gegenwart wurde nicht ausgeblendet, aber als Zwischenzeit erlebt, die man durchleben musste, um dort weiter zu leben, wo die nostalgische Vergangenheit unterbrochen wurde.

18.7.41
Der Krieg muß ja mal zu Ende gehen! Meine Gedanken sind so oft jetzt bei uns in Detmold nach dem Kriege, und jetzt hat das alles wieder Farbe und Gestalt gewonnen, während es zwischendurch schon einmal ganz blaß und fern geworden war. Ich habe überhaupt so stark das Gefühl, daß etwas Dunkles über uns gehangen hat wie eine schwere Wolke und daß wir jetzt hindurch sind, und die Sonne scheint wieder, und alles ist wieder gut und wird noch besser.
(Karl K. - Feldpostsammlung Berlin Signatur: 3.2002.0861)

Zukunft war Hoffnung. Trennung - und damit die Gegenwart - wurde in dieser Hinsicht negativ gesehen. Da die Gegenwart durch den Krieg bestimmt war, finden sich bei Verheirateten und Verliebten kaum positive Äußerungen dazu. Zwar wurde er selten prinzipiell ideologisch in Frage gestellt, doch wurde er als Unterbrechung des privaten Glückes erlebt, das möglichst bald wieder fortgesetzt werden sollte.

20.10.41
Ich sehe uns schon in Athen und freue mich so darauf! Überhaupt lebe ich schon jetzt ganz stark in der Zeit nach dem Kriege. Das soll aber schön werden!
(Karl K. - Feldpostsammlung Berlin Signatur: 3.2002.0861)

Durch Nostalgie und Hoffnung wurden Vergangenheit und Zukunft verklärt. Dies schuf medial ein Traumbild, das im Todesfall bewahrt wurde. Dieser Umstand trug möglicherweise auch dazu bei, dass die Briefe der toten Angehörigen eher aufbewahrt wurden als die der lebenden Heimkehrer. Hier holte die Realität der täglichen Auseinadersetzung die Romantik schnell ein.

Die verklärten Briefinhalte beförderten die Verklärung der Gefallenen.

II.4 Propaganda und Medien

Mithin waren Medienereignisse die einzige Möglichkeit, neben dem Urlaub und den Briefen aktuell Gemeinsames zu erleben und von den getrennten Welten an Front und Heimat unabhängige Erfahrungen zu machen. Spielfilme aus Babelsberger Produktion liefen nicht nur in den Kinos der Heimat, sondern dienten an vielen Orten, wo deutsche Soldaten stationiert waren, dem Zeitvertreib und der Zerstreuung. Zeitungen, Zeitschriften und Bücher (etwa die Feldpost-Reihe des Insel-Verlags) konnten überall hin verschickt werden und wurden von den Soldaten begierig aufgenommen. Die Teilnahme am öffentlichen Diskurs war somit möglich. Das Radio war das einzige Life-Medium, das an allen Abschnitten der Front und zu Hause zeitgleich gehört werden konnte. Das Empfinden der synchronen Rezeption verband die Getrennten. Besonders zu erwähnen ist die Rundfunk-Sendung "Wunschkonzert", wo Zuhörer und Zuhörerinnen gegen eine kleine Spende Musikwünsche äußern und Grüße übermitteln konnten. In vielen Briefen finden sich Erwähnungen. Immer wieder wird gefragt, ob der Partner oder die Partnerin eine bestimmte Passage auch gehört habe.

Hervorzuheben im sonstigen Radioprogramm sind die Reden der Führungsschicht des 3. Reiches. Sie machten Angebote für Sinnentwürfe und Interpretationen der aktuellen militär-politischen Lage. Hier konnten sich die Kommunikationspartner bedienen. Eine solche Debatte sei hier anhand der berühmt-berüchtigten Sportpalast-Rede von Göbbels dargestellt, die er am 18. Februar 1943 nach der Niederlage der 6. Armee. Sein Ausruf "Wollt ihr den totalen Krieg?" wurde im Radio übertragen und von Vielen - unter anderem auch vom Ehepaar Guicking - gehört. Irene war zuhause in Gießen, Ernst war im Frankreich. Irene griff die Rede zuerst auf. Gleich nach der Rede schrieb sie:

18.2.43
So mein Schatz,
ich habe ein bißchen geschlafen. Das tat mir gut. Ja, ich bin eigentlich noch ganz im Banne der großartigen, einzig dastehenden Rede von Dr. Göbbels. Hoffentlich hast Du sie auch hören können. … Ich möchte lieber bei Dir sein und möchte auch Deine strahlenden Augen gesehen haben, als Göbbels in der Schlußrede die Deutsche Nation aufrief, vor der feindlichen Welt ein Gelöbnis abzulegen. Aus vollem wahren Herzen antworten wir alle mit ja. Ich habe es nicht anders erwartet. Das waren echte deutsche Männer und Frauen, die im Sportpalast diesen historischen Stunden angehören durften. Man kann wahrhaftig diese Stunden des 18.2.43 historisch bezeichnen. Eine solche Treue, ein solches Treuebekenntnis glaubte ich noch nie vernommen zu haben. Und erst recht nicht unsere Feinde. Mögen sich nur jede deutsche Frau und auch Mann ihre deutsche Herkunft würdig erweisen indem sie das Gebot der Stunde aufnehmen und auch danach handeln. Mich hat diese Rede und diese spontane Kundgebung geradezu überwältigt. Ich hätte mitschreien können, in die Hände klatschen! Ich konnte gar nicht ruhig sitzen bleiben. Ob ich jetzt überhaupt noch gut einschlafen kann? Gute Nacht mein lieber Ernst. Ich küsse dich mit aller Herzlichkeit und mit meiner ganzen Liebe, die ich für Dich empfinde.
Deine Irene
(Irene G. in: Sei tausendmal gegrüßt. Feldpost-Briefwechsel Irene und Ernst Guicking 1937-1945, Buch und CD-ROM, Berlin 2001, gleichzeitig Feldpostsammlung Berlin Signatur: 3.2002.0349)

Der in der Rede suggerierte Volksentscheid wurde aufgenommen. Irene teilte ihre Interpretation der Rede ihrem Mann mit. Er hatte die Chance, auch die Wiederholung der Rede am 21. Februar zu hören, bevor er seine Einschätzung dazu mitteilte.

24.2.43
Liebe, gute Frau,
heute kam Dein Brief vom 19.2. Ja, der Jupp Göbbels hat Euch scheinbar einen Schock eingejagt. Ich muß schon sagen, er war verdammt deutlich. Ich habe sie mir am Sonntag morgen noch einmal angehört. Man könnte bald sagen, der Berliner Tiergarten wäre losgelassen worden. In sehr vielen Frontschichten hat er sich durch diese Rede sehr viel Sympathie erworben. Man kann auch behaupten, daß dieser Mann seinen Posten voll auswertet. Wie man so sagt, in seinem Fach auch seinen Mann steht.
(Ernst G. in: Sei tausendmal gegrüßt. Feldpost-Briefwechsel Irene und Ernst Guicking 1937-1945, Buch und CD-ROM, Berlin 2001, gleichzeitig Feldpostsammlung Berlin Signatur: 3.2002.0349)

Ernst war wesentlich zurückhaltender. Er widersprach der Haltung von Irene nicht und bestätigte sie durch eigene Einschätzungen der Wirkung. Eine inhaltliche Auseinandersetzung fand nicht statt. Irene ging in ihrer Antwort nochmals auf die Rede ein und gab ein abschließendes ästhetisches Urteil.

28.2.43
Ja mein Lieber, die Göbbels-Rede hast Du auch gehört? Ja mein Schatz, gell die war zackig. Ich hab' sie mir auch am Sonntag morgen noch einmal angehört.
(Irene G. in: Sei tausendmal gegrüßt. Feldpost-Briefwechsel Irene und Ernst Guicking 1937-1945, Buch und CD-ROM, Berlin 2001, gleichzeitig Feldpostsammlung Berlin Signatur: 3.2002.0349)

Neben dem Effekt, dass durch Medienereignisse synchrones Erleben möglich ist, hat der Aspekt des ästhetischen Urteils für Beziehungen eine wichtige Rolle. Zwar hat jeder und jede eine mehr oder minder eigene Einschätzung und ein eigenes Urteil, die Auseinandersetzung darüber ist aber sehr wichtig und hat in der Alltagskommunikation einen erheblichen Anteil. Ästhetische Urteile sind spontane Begutachtungen von Wahrnehmungen. Sie dienen dazu herauszufinden, ob der Partner die Welt ähnlich sieht. Ähnliche Einschätzungen verhindern langwierige Interessensabgleiche. Je mehr sich Partner im ästhetischen Urteil angleichen, desto weniger Auseinandersetzungen sind zu erwarten und desto einfacher ist die Kooperation. Wechselseitige Bestätigung der gemeinsamen Haltung ist ein wichtiger Teil der Kommunikation innerhalb einer Partnerschaft. Da nur gemeinsame Wahrnehmungen dazu dienen können, Einschätzungen abzugleichen, haben Medienereignisse eine große Bedeutung.

Das Medium Feldpostbrief brachte in der ästhetischen Diskussion einen System stabilisierenden Effekt mit sich: Die Debatte über eine sich verändernde Einstellung war äußerst schwierig. Im mündlichen Gespräch, das Argumente auch testweise ausprobieren kann, werden Haltungen präsentiert und wenn sie nicht in der gewünschten Weise ankommen, auch wieder spontan revidiert. Im Gegensatz dazu legt die Schriftlichkeit eher fest. Das geschriebene Wort wiegt schwerer. Hinzu kommen weitere Einschränkungen: Die Transportwege waren lang und ungewiss. Die Briefe kamen nicht immer in der Reihenfolge an, in der sie abgeschickt wurden. Auseinandersetzungen oder gar Streitigkeiten waren durch die Bedingungen des Mediums schwierig. So war es allemal einfacher, den einmal eingeschlagenen Weg beizubehalten, als ihn kommunikativ zu ändern. Da man nicht davon ausgehen konnte, dass der Partner seine Haltung verändert hat, war man in der schriftlichen Kommunikation bemüht, die bekannte Haltung weiter zu bestätigen. Und damit wurde das Ganze zu einem selbstreferenziellen System.

III. "Mein Urlaubsgesuch habe ich schon eingereicht"

Urlaub war die einzige Möglichkeit, den Kontakt direkt ohne Briefe und Telegramm zu führen. Eine Liebe ohne Begegnung hat kaum Chancen auf Dauer. Die Treffen während der Kriegszeit zwischen Soldaten und ihren Frauen und Familien waren limitiert. In der Regel gab es zwei Mal 14 Tage Heimaturlaub pro Jahr. Wobei dieser Begriff aus heutiger Sicht schon fremd klingt. Urlaub ist heute etwas, das uns an andere Orte führt und wir dort mit dem oder der Liebsten freie Zeit verbringen. Urlaub in Kriegszeiten war die Zeit, die der Soldat zu Hause verbringen durfte.

1.5.42
Mein Urlaubsgesuch habe ich schon eingereicht. Es wurden mir 21 Tage bewilligt, mehr auf einmal kann nicht genehmigt werden. Wenn dieser Urlaub vorbei ist und meine Beine noch nicht in Ordnung sind, soll ich wieder Urlaub einreichen. Später, wenn ich nach meiner Genesung bei der Ersatzeinheit bin, bekomme ich noch meinen Jahresurlaub (14 Tage). Becker R. fährt morgen auch 14 Tage in Urlaub.
(Alois S. - Feldpostsammlung Berlin Signatur: 3.2002.1218)

Zusätzlich gab es nur Genesungsurlaub bei Krankheit oder Verletzung, Sonderurlaub bei Tod in der Familie oder anderen dringenden Angelegenheiten. Urlaub bei Geburten gab es nicht. Diese und andere Neuigkeiten in der Familie blieben der Übermittlung durch Brief oder Telegram vorbehalten. Der Zeitpunkt des regulären Urlaubes war nicht zu planen. Er hatte etwas Unkalkulierbares.

4.8.42
Bei der Unregelmäßigkeit der Zuteilungen kann ich daher auch nicht sagen, wann ich wohl mal rankommen werde. Voraussichtlich werde ich wohl aber doch im Spätherbst dran sein, z.Zt. liegt mir nicht viel an Urlaub, denn das Zurückfahren würde mir doch zu schwer fallen. Jetzt habe ich mich schon so an die Entbehrungen gewöhnt, dass ich sie schon nicht mehr merke. Wenn man aber auf Urlaub war, merkt man erst wieder, dass es auch noch etwas anderes als russischen Dreck gibt. Und dann fällt einem alles noch mal so schwer. Mir ist dann schon lieber, wenn ich im Winter fahren kann, denn vor dem Winter habe ich die meiste Bange.
(Heinz S. - Feldpostsammlung Berlin Signatur: 3.2002.0827)

Urlaub gehörte zu den wichtigsten Dingen, deren aktueller Stand verhandelt wurde. Mangelndes Wissen und der fehlende Blick in die allgemeine militärische Lage schuf Ungewissheiten, die nach Interpretationen verlangten. Immer wieder ging es darum, Gerüchte über die Systematik der Regelungen weiter zu geben. Diese wurden nicht nur zwischen den Briefpartnern diskutiert, sondern genauso unter den Soldaten, denn das Problem betraf alle.

4.5.44
Es soll eine neue Verfügung rauskommen in den nächsten Tagen, wonach Verheiratete alle 6 Mon. auf Urlaub fahren sollen. Schön wär's ja, denn dann könnte ich hoffentlich noch Oktober wieder bei Dir sein, Du! Denk' mal an, die 3 Tage Nachurlaub hat mir meine Einheit nicht auf meinen regulären Urlaub angerechnet. Ist doch auch ganz gross nicht wahr? Da kannst Du sehen, was ich hier für ne Nummer habe.
(Werner B. - Feldpostsammlung Berlin Signatur: 3.2002.0828)

Urlaub war ein ständiges Thema in den Briefen. Jede Vermutung, jede Veränderung und jede Hoffnung wird mitgeteilt. Doch Urlaub schuf auch Probleme, denn angenehme Erfahrungen erzeugten Erinnerungen, die schwer zu ertragen waren.

16.6.40
Du möchtest gerne wissen, wie es ist mit Urlaub. Leider kann ich Dir auch jetzt nichts näheres mitteilen, ich würde auch ganz gern auf Urlaub verzichten, wenn ich bald heimkäme.
(Alois S. - Feldpostsammlung Berlin Signatur: 3.2002.1218)

Urlaub war im Grunde auch nur ein schlechter Ersatz für das eigentliche Anliegen. Der Soldat wollte nach Hause und zwar möglichst bald und auf Dauer. Die zeitweise Aufhebung der Trennung im Urlaub machte die andauernde Trennung nur problematischer.

15.11.41
Ein trauriges Weihnachtsfest wird es dieses Jahr geben, denn ich glaube nicht mehr an Weihnachtsurlaub. Wie leid mir das tut, kann ich in Worten gar nicht wiedergeben. Ich ertrage auch das noch und schweige darüber. Mir ist es überhaupt nicht mehr ums viele reden.
(Alois S. - Feldpostsammlung Berlin Signatur: 3.2002.1218)

Besonders intensiv war das Gefühl des unfreiwilligen Auseinandergerissenseins dann auch bei den Anlässen, an denen Familien normalerweise in Harmonie zusammen sind. Vor allem das Weihnachtsfest, das man nicht in den Familien verbringen konnte, wurde als schmerzlich erlebt. An jenen Tagen wurde die Trennung am intensivsten erfahren.

25.1.40
Es muß jetzt tatsächlich alles sehr schnell erledigt werden, sonst reicht die Zeit nicht mehr aus und ich bekomme keinen Urlaub mehr. Für alle Fälle bitte ich Dich, auch noch zu erkunden, wie lange ein Aufgebot für einen Soldaten dauert ohne Bescheinigung vom Bataillon, daß man zu einem bestimmten Zeitpunkt ins Feld abrückt. Ich weiß nämlich nicht, ob ich sie bekomme.
(Georg N. - Feldpostsammlung Berlin Signatur: 3.2002.1286)

Nicht einmal Urlaub für die eigene Hochzeit war sicher. Dafür wurde bereits im November 1939 die Ferntrauung eingeführt, bei der der Soldat symbolisch durch Helm, Dolch und durch ein Photo im Standesamt des Heimatortes anwesend war. Nicht einmal Telefon oder Funk waren nötig, den gemeinsamen Willen von Braut und Bräutigam zu erfahren. Es genügte eine Erklärung des Ehewillens durch den Soldaten vor dem Bataillonskommandeur. Zur Not konnte sogar eine einfache schriftliche Zustimmung des Soldaten ausreichen, die Ehe zu schließen.

23.4.42
Es gibt jetzt Urlaub. Immer 2 % jeder Einheit dürfen nacheinander fahren. Ich bin dann 1945 daran. - In einer Parodien auf "Lili Marlen" heißt es: "... Und wenn ich wieder Urlaub krieg, treib ich Bevölkerungspolitik, mit Dir, Lili Marlen!"
(Heinz S. - Feldpostsammlung Berlin Signatur: 3.2002.0827)

Zynismus und Parodien bieten in unsicheren Situationen auch Möglichkeiten, mit dem Unbestimmbaren umzugehen. Durch Humor wird der unangenehme Sachverhalt verniedlicht und dessen Bedeutung zumindest sprachlich gemindert. Man tut so, als hätte man das Problem erkannt und im Griff.

Die Urlaubbewilligung hatte etwas Schicksalhaftes. Weder Zeitpunkt noch Kriterien der Verteilung waren nachzuvollziehen. Und es gab noch eine Schreckgespenst, das über allem schwebte: "Urlaubssperre". Denn auch wenn Urlaub bewilligt war, konnte er, wenn es die militärische Lage erforderte, kurzfristig entzogen werden.

IV. "Ich hatte den Tod in der Tasche"

Ein Thema, das für andere Liebeskommunikation eher die Ausnahme sein dürfte, war ein konstitutiver Bestandteil der Liebesbriefe per Feldpost. Die Möglichkeit des eigenen Todes findet Eingang in die Kommunikation. Liebe, Tod und Krieg treten zueinander in Beziehung.

2.9.41
Du und ich Bobi, wir sind eins geworden. Und Du weißt gar nicht, wie dankbar ich Dir bin. Unsere Liebe, das Zueinandergehören, das hat so tiefe Wurzeln in unseren Herzen wachsen lassen, daß wohl niemals etwas geschehen wird, um uns zu trennen. Warum auch, nur dieser Krieg hätte die Chance.
(Ernst G. in: Sei tausendmal gegrüßt. Feldpost-Briefwechsel Irene und Ernst Guicking 1937-1945, Buch und CD-ROM, Berlin 2001, gleichzeitig Feldpostsammlung Berlin Signatur: 3.2002.0349)

Aus den Tagebuchaufzeichnungen wissen wir, dass Ernst im Laufe des so genannten Russlandfeldzuges diverse Todeserfahrungen hatte. Kameraden wurden getötet oder verletzt. Diese Erfahrung war so grundlegend, dass er sie in einem Brief im Januar 1943 aufgreift.

26.1.43
Denke mal an den vergangenen Winter, an den Januar. Ruf Dir mal die Gedanken wieder zurück und vergleiche sie mit den heutigen. Nein mein Schatz, tu es lieber nicht, es wäre Wahnsinn. Ich hatte ja fünf Monate lang den Tod vor Augen und ich bin ihm entkommen. Ich kann heute noch sagen, es klingt wie ein Märchen aber es war so und ich kann es nicht vergessen. Weißt Du, ich sage mir, ich hatte den Tod in der Tasche, im Brotbeutel, ich hab ihn nur nicht rausgelassen. Na ja, vorbei, wir haben uns wieder, mein Schatz und ich kaufe wieder und mache Päckchen, genau wie 1941, als wäre nichts gewesen.
(Ernst G. in: Sei tausendmal gegrüßt. Feldpost-Briefwechsel Irene und Ernst Guicking 1937-1945, Buch und CD-ROM, Berlin 2001, gleichzeitig Feldpostsammlung Berlin Signatur: 3.2002.0349)

Die Möglichkeit des eigenen Todes bleibt präsent. So musste man Feldpostbriefe als Lebenszeichen sehen, die einfach nur dem Partner zeigten, dass man zum Zeitpunkt des Schreibens noch am Leben war. Gleichzeitig war jeder Brief ein potenzieller Abschiedsbrief, da man nie wusste, wann und unter welchen Umständen einen den Tod ereilte und sie waren schließlich Kommunikate, die Inhalte transportieren.

22.1.44
Mit meinen Kameraden lag ich dicht vor dem Feind. Ich hatte den Tod ständig vor Augen und Du lagst in denselben Stunden mit großen Schmerzen in den Kissen und bis fast die Kraft, Deine Kraft, zu Ende war, da kam das Kind. In dieser Zeit, da habe ich festgestellt, ich kann es von mir sagen: Du, ich habe damals bis in die tiefsten Wurzeln meines Herzens gespürt, gefühlt, was Du mir bist und daß ich zu Dir gehöre und wiederum Du zu mir. Und ich muß sagen, es ist schön einen Menschen zu haben, um den man sich bangt und sorgt, denn hier heraus spricht doch nichts anderes, als die tiefe Glückseligkeit, einen Menschen ganz zu besitzen.
Dein Ernst
(Ernst G. in: Sei tausendmal gegrüßt. Feldpost-Briefwechsel Irene und Ernst Guicking 1937-1945, Buch und CD-ROM, Berlin 2001, gleichzeitig Feldpostsammlung Berlin Signatur: 3.2002.0349)

In diesem Brief zur Geburt seiner zweiten Tochter stellte Ernst einen Zusammenhang zwischen Tod und Geburt her. Er verklärte dabei die beiden Ereignisse mit dem Ziel, eine Gemeinsamkeit mit Irene herzustellen. Diese Gemeinsamkeit war für ihn Beleg für seine Zuneigung und seine Verbundenheit in der Beziehung. Die Geburt wurde hier interpretiert als Fortsetzung des Lebens, vielleicht sogar des eigenen Lebens. Es ist klar, dass in einer Zeit, in der das eigene Leben und die Unversehrtheit des Partners nicht sicher waren, der Tod als Bedrohung wahrgenommen wurde. Gleichzeitig war er ideologisch als Heldentod verklärt. "Gefallen für Führer, Volk und Vaterland" war eine Floskel, die bald in jeder Familie geläufig war. Mit dem Tod als persönlichem Ereignis konnte so möglicherweise besser umgegangen werden. Diese Form der Distanzierung machte die Bedrohung erträglicher.

V. "Ist das so richtig? Oder zuviel? Willst Du noch mehr wissen?"

Weitere Phänomene im Zusammenhang von Liebeskommunikation und Feldpost waren die besonderen Rollen von Mann und Frau. Durch die Abwesenheit des Mannes ergaben sich neue Aufgaben und Verantwortlichkeiten für die Ehefrau. Er war durch die Einberufung nicht nur von Frau und Familie getrennt, sondern auch von Beruf, Geschäft oder Unternehmen. Solange die Tätigkeit nicht als kriegswichtig eingestuft war, gab es keine Ausnahmen und er musste einrücken. Die zurück gelassene Arbeit war oft nicht abgeschlossen, Kunden warteten, Rechnungen mussten bezahlt werden, auch beim Finanzamt gab es Verbindlichkeiten, die bedient werden mussten.

31.8.41 Also nun der Steuerbescheid noch einmal:
Einkommensteuer einschl. Kriegszuschlag
für 1940 vorausgezahlt
noch zu zahlen
künftige Vorauszahlungen vierteljährlich
Ist das so richtig? Oder zuviel? Willst Du noch mehr wissen?
(Hilde K. - Feldpostsammlung Berlin Signatur: 3.2002.0861)
 
63,55
29,00
34,55
15,00

Dem Mann war Handlungs- und zum Teil auch Entscheidungsmöglichkeit entzogen. Die Frau, die hier die Auflistung machte, war sich ihrer Rolle nicht sicher. Sie zögerte, Entscheidungen zu treffen, suchte nach Absicherung. Die Kommunikation zwischen den Partnern war immer wieder bestimmt von geschäftlichen Belangen. Das Besondere ist, dass die Rollenverteilung nicht in Frage gestellt wurde. Die Frau handelte nicht souverän, sondern als Handlangerin des Entscheidungsträgers, der in jener Zeit nicht anwesend war. Sie vertrat ihn, so gut es ging.

In diesem Zusammenhang sind die kriegsbedingten Lasten und Belastungen zu erwähnen, die sicher über das Maß enorm waren. Im Zusammenhang mit der Kommunikation zwischen den Partnern fällt immer wieder auf, dass nur Männer um Rat gefragt wurden und dass deren aktives Eingreifen vermisst wurde, wie im folgenden Beispiel:

13.12.44
Wenn ich ja nicht so Angst vor der Fahrt oder vor Angriffen gehabt hätte, dann hätte ich noch manches nach hier holen können. Aber alles konnte ich ja auch nicht holen. Ich hab gleich Mutti losgeschickt auf die Post und zum Ortsgruppenleiter und sie gibt ein Telegramm für Dich auf. Hoffentlich läßt man Dich daraufhin wenigstens fahren. Wenn auch alles in Asien ist, Du könntest mir trotzdem noch vieles abnehmen. Es gibt noch Gänge zu erledigen, um die Du Dich besser kümmern kannst.
(Ernst G. in: Sei tausendmal gegrüßt. Feldpost-Briefwechsel Irene und Ernst Guicking 1937-1945, Buch und CD-ROM, Berlin 2001, gleichzeitig Feldpostsammlung Berlin Signatur: 3.2002.0349)

Es ist schon eine seltsame Vorstellung: Der Mann sollte Ende 1944 nach Hause kommen, um Gänge im Zusammenhang mit Bombenschäden zu erledigen. Sicher hätte sie das alles alleine regeln können, aber in ihrer Verzweiflung suchte sie die Unterstützung durch den Mann.

Möglicherweise wurde aber auch der Bombeneinschlag nur als Vorwand benutzt, um dem Mann zu einem Heimaturlaub zu verhelfen. Angesichts der Kriegslage war dies ein Versuch, den geliebten Mann in ihre Nähe zu bekommen.

Obwohl die Frauen das meiste selbstverantwortlich regeln mussten und auch geregelt haben, verändern sie ihr Rollenverständnis nicht. Sie erledigten die Arbeiten notgedrungen. Verantwortung wurde zwar übernommen, doch eher widerwillig und sie wurde - sobald sich die Gelegenheit bietet - auch wieder abgegeben.

Aus der Sicht der Männer ergibt sich ein analoges Bild. Auch sie hatten Erwartungen und Anforderungen, die sich ebenso am traditionellen Rollenverhalten orientieren.

18.8.41
Wende Albertchen Deine größte Aufmerksamkeit zu und wache über seine Erziehung. Sei immer lieb und gut zu ihm, aber auch streng und gerecht gegen auftretende Fehler und Untugenden. Gewöhne ihn an Ordnung, Sauberkeit und Gehorsam, das sind Dinge, worauf Du unbedingt achten mußt. Lasse ihn auch regelmäßig beten, morgens, mittags und abends. Ich bin überzeugt, daß Du das schon sowieso tust. Nimm es mir dennoch nicht übel, wenn ich Dich nochmals darauf hinweise. Die Erziehung unserer Kinder ist ja eine der wichtigsten Aufgaben, die wir haben.
(Alois S - Feldpostsammlung Berlin Signatur: 3.2002.1218)

Der Familienvater Alois machte sich Sorgen um die Erziehung des Kindes. Durch seine Abwesenheit konnte er daran nicht teilnehmen. Dennoch hatte er genaue Vorstellungen. Diese Haltung war keine Ausnahme. Auch andere Briefschreiber wussten mehr oder minder genau, wie das Leben ihrer Kinder verlaufen sollte und welche Verpflichtung die Frauen dabei hatten.

7.4.40
Bei der Gelegenheit möchte ich vorsorglich noch hinzufügen, daß ich Dich innigst um Erfüllung meines Wunsches bitte, unser Kind während seiner ganzen Jugend selbst und gut zu erziehen. Und solltest Du aus beruflichen Gründen dazu nicht immer imstande sein, dann bitte bringe das Geld auf und gebe es auch während seiner ganzen Schulzeit (bis zum Abitur) in eine entsprechend gute Pension. Und laß es, wenn es ein Bub ist, auf jeden Fall studieren, damit etwas ordentliches aus ihm wird, so wie es sein Vater gewollt hat. Versuche mit aller Mutterliebe immer dieses Opfer zu bringen. Es ist mein großer Wunsch. - Und erzähle ihm von uns, von unserem glücklichen gemeinsamen Leben und verhelfe ihm Du als Mutter dazu, so weit es in Deiner Macht steht, selbst auch glücklich zu werden und unserer Liebe nachzustreben: Rein und bedingungslos, für uns Sterbliche vollkommen in seiner Größe und Erhabenheit. - Ich hoffe, daß Du meine letzten Zeilen richtig verstehst und nicht traurig darüber bist. Aber wir müssen zeitweilig mal auch solche Gedanken anstellen, wenn auch ihr Inhalt - denk an unseren guten Engel - nie in Erfüllung gehen mag.
(Georg N. - Feldpostsammlung Berlin Signatur: 3.2002.1286)

Geradezu testamentarisch erklärte der Schreiber hier seine Erwartungen. Er erwartete, dass er seine dominante Rolle noch über seinen Tod hinaus beibehält. Die Wünsche der Frauen bezogen sich auf Details und konkrete Bedingungen, die Erwartungen der Männer betrafen grundlegendere und langfristigere Ziele.

VI. "Lieber unbekannter Soldat"

Vor einem Fazit ist noch ein weiteres Phänomen zu erwähnen, das den normalen Liebesbrief nicht betrifft. Üblicherweise schreiben sich nur Menschen, die sich kennen. Doch in jenen Tagen waren ganze Jahrgänge der männlichen Jugend zum Kriegsdienst eingezogen. Das schuf große Probleme beim wechselseitigen Kennenlernen. Doch dafür gab es eine Lösung. Frauen schrieben an einen unbekannte Soldaten. Zahlreiche Beispiele von derartigen Briefen sind in den Archiven zu finden. Das folgende Beispiel eines Briefes an einen jungen Mann im Reichsarbeitsdienst ist typisch:

Mittwoch, 14. d. M.
Lb. unbekannter Vormann!
Sie werden erstaunt sein, heute aus unbekannter Hand, Post zu empfangen! Sich meiner zu erinnern können Sie bestimmt nicht, da Sie meine Wenigkeit noch nicht gesehen haben. Möchte nur kurz bemerken, dass ich Ihre Adr. von einer Stubenkameradin erhalten habe. Hoffentlich sind Sie mir darob nicht böse. Od. doch. Wie mir meine Kameradin erzählte, wartet Ihr Lager schon sehnsüchtig auf Post. Werden Sie, auch nicht von meiner Person enttäuscht sein?? Lege Ihnen deshalb ein kl. Photo bei. Bei nicht gefallen Geld zurück.
Sie müssen entschuldigen, dass ich schon Schluß mache. Mir ist noch ganz fahselig zu Mute. War nähmlich mehrere Tage in der Heilstube.
Für Heute die besten Grüße, ganz
Ihre
Arbeitsmaid Alice!
(Alice - Feldpostsammlung Berlin Signatur: 3.2002.1276)

Hier war Eigeninitiative am Werk. Die junge Frau hat sich von einer Kameradin die Adresse geben lassen und bei aller Zurückhaltung den Mut gefasst, ein paar Zeilen zu schreiben und abzusenden. Es sind auch Beispiele bekannt, wo Soldaten, die durch das Reich in Richtung Kriegsgeschehen transportiert wurden, ihren Namen und die Feldpostnummer auf kleine Zettel kritzelten und diese in der Nähe von Ortschaften aus dem Zug warfen. Diese wurden von jungen Frauen gesammelt und zur Anbahnung eines Briefkontaktes genutzt.

Wer keine Bekannten hatte, die einen Kontakt vermitteln konnten, und wer auf den Zufall, eine Adresse zu finden, nicht vertrauen wollte, wandte sich an Zeitschriften oder an den Rundfunk. Beliebt was etwa die bereits erwähnte Sendung "Wunschkonzert", die an der Front und in der Heimat gehört wurde. Zahlreiche Bitten um Kontaktanbahnung gingen dort ein. Organisiert wurde die Vermittlung von Adressen schließlich vom Deutschen Frauenwerk. Dieses hatte eine Art Vordruck mit folgendem Standardtext:

Deutsches Frauenwerk, Reichsstelle, Derfflinger Straße 21, Berlin W 35, Datum des Poststempels
Betrifft: Feldpost!
In Erledigung Ihres Schreibens teilen wir Ihnen wunschgemäß nachstehend die Anschrift eines Frontsoldaten mit, der Post aus der Heimat haben möchte. Damit geben wir die Betreuung des Soldaten an Sie ab!
Heil Hitler!
Deutsches Frauenwerk
Feldpostnummer:
(Heinz R. - Feldpostsammlung Berlin Signatur: 3.2002.7115)

Handschriftlich findet sich dann Name und Dienstgrad eines Soldaten, sowie dessen Feldpostnummer an der im Formular vorgesehen Stelle. Die Feldpostnummer reichte, um die Anschrift des Soldaten eindeutig zu identifizieren. Mehr war nicht nötig. Das Frauenwerk war eine Unterorganisation der NSDAP. Damit war die politische Führung direkt an der Anbahnung von Partnerschaften beteiligt. Vermuten kann man hier ein einfaches Motiv: Soldaten, die emotionale Bindungen in die Heimat haben, werden sich intensiver und engagierter für die Heimat einsetzen.

VII. Fazit

Liebhaber und auch Väter sind schlechte Soldaten, denn sie wollen im Grund nur das Eine: nach Hause. Das steht im Widerspruch zur erhofften Wirkung der politischen Führung. Die Inhalte der Briefe sprechen jedoch eindeutig für die These, dass die Trennung unangenehm erlebt wurde. Die Überzeugung, sich für Führer, Volk und Vaterland bedingungslos und bis zum Letzten einzusetzen steht dazu im offensichtlichen Widerspruch. Familienväter schrieben viel von ihrer Sehnsucht. Dennoch - und das darf man dabei nicht vergessen: Es gibt Unterscheide zwischen Denken, Fühlen und Handeln. Auf den Kriegsausgang und die Kriegshandlungen hatte die Stimmung der Soldaten sicher wenig Einfluss. Vor Ort unterlagen die Entscheidungen nicht ihrem freien Willen. Sie mussten kämpfen, ob sie wollen oder nicht. Auf den Flug des Geschosses hat es keinerlei Einfluss, unter welchen emotionalen Bedingungen es abgefeuert wurde. Die Auswirkungen der Stimmungen sind noch zu wenig analysiert, als dass man hier abschließende Einschätzungen abgeben könnte.

Aus der Feldpost-Kommunikation und deren medienspezifischen Bedingungen entstanden idealisierte Bilder der Partner und der Beziehung. Die daraus erwachsene Erwartung konnten sicher nicht immer erfüllt werden. Nur im Todesfall mussten die Vorstellungen nicht revidiert werden. Irene Guicking, deren Briefe hier des Öfteren zitiert sind, bestätigte mir das Phänomen in einem Gespräch: "Wenn mein Mann auf Urlaub kam, dauerte es eine Weile, bis wir wieder zueinander fanden. Wir mussten uns neu kennen lernen." Realer Mann und idealisierter Briefpartner waren unterschiedliche Personen. Als Ernst Guicking 1996 verstarb, öffnete seine Frau Irene erstmals nach dem Krieg die Schublade, in der die gesamten Kriegsbriefe des Paares gesammelt waren, und begann, diese erneut zu lesen. Für sie war es eine vergleichbare Situation: Getrennt vom Mann, war der Brief das Medium, das die Getrennten verband. Briefe schaffen Nähe über jede Distanz. So intensiv war das Erleben der erneuten Rezeption, dass Irene Guicking die Briefe transkribieren ließ und sie der Öffentlichkeit zur Verfügung stellte. Heute können wir sie lesen und erfahren Eindringliches und Intimes aus einer Zeit, dessen Innenleben uns sonst verschlossen bliebe.

[1] Overmans, Rüdiger: Deutsche militärische Verluste im Zweiten Weltkrieg. Beiträge zur Militärgeschichte, Band 46, München 1999